Aus dem Archiv
von Kerstin Schmidt
Wladimir Kaminer: "Mein deutsches Dschungelbuch"
Er hat vorübergehend sein Revier verlassen. Er hat die Geschichten von der Schönhauser eingepackt - und ist in die Provinz gefahren, um in Buchhandlungen und Volkshochschulen daraus vorzulesen. Zwei Jahre lang reiste er kreuz und quer durch Deutschland. Und natürlich hat er dabei wie immer Augen und Ohren weit aufgesperrt. So sind neue Geschichten entstanden: waschechte Kaminer-Geschichten. Sie handeln von Krokodilen in Sömmerda, von der Spielsucht russischer Schriftsteller in Baden-Baden oder von einem Gastwirt in Brandenburg, der Oliver Kahn heißt...
"...Ich hatte damals keine große Lust, in die Provinz zu fahren. In der Millionenstadt Moskau aufgewachsen, später in die Millionenstadt Berlin gezogen, hielt ich nicht viel von einem 'glücklichen Dasein auf dem Land'. Der Alltag in einer Kleinstadt, wo alle einander kennen, alle gleichzeitig ins Bett gehen, gleichzeitig aufstehen und wo der Briefträger mit seinem Vornamen begrüßt wird, kam mir gruselig vor. In Russland war ich immer davon überzeugt gewesen, dass alle meine Landsleute nur einen Traum hatten, nämlich nach Moskau zu ziehen. Gott sei Dank schaffte das nicht jeder - nur jeder Zehnte. In Deutschland stellte ich mir die Situation ähnlich vor. In der Provinz würden wahrscheinlich nur diejenigen leben, die aus finanziellen, privaten oder gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage waren, nach Berlin zu ziehen, dachte ich naiv..."
Man sollte das Buch häppchenweise genießen - zwei, drei Geschichtchen reichen bereits, um hängende Mundwinkel wieder auf Vordermann zu bringen. Es eignet sich auch prima zum Vorlesen in geselliger Runde. Und wer den "Großstadt-Kosmonauten" lieber selbst zu Wort kommen lassen möchte - denn sein Akzent ist nach wie vor hinreißend! - der kann sich auch das Hörbuch kaufen.
Wladimir KaminerMein deutsches DschungelbuchGoldmann Verlag, 256 Seiten, Taschenbuch, EUR 8,95 |
Mehr? auf Kaminers Webseite