Aus dem Archiv
von Lilo Herz
Milena Agus: "Die Frau im Mond"
Was macht ein heißblütiges und sehr phantasiebegabtes junges Mädchen in einem Dorf Sardiniens, das davon träumt, unbedingt die Naturgewalt Liebe kennenzulernen? Sie tut etwas unerhörtes und nach Meinung ihrer Eltern und der gesamten Dorfbevölkerung Ungehöriges: Sie schreibt ihren potentiellen Ehekandidaten feurige Liebesbriefe, was leider zur Folge hat, dass diese bald ganz wegbleiben und das wunderschöne Mädchen bis zu ihrem dreißigsten Lebensjahr vergeblich darauf wartet, geheiratet zu werden.
Ganz schlicht und unspektakulär schildert die Enkelin das Schicksal ihrer unglücklichen Großmutter und weckt nicht nur das Interesse, sondern Gefühle der Anteilnahme bei den Lesern. Besonders wenn man erfährt, das die junge Frau von ihren Eltern geschlagen und anderweitig bestraft wurde und man sie ins Krankenhaus bringen wollte, weil sie "verrückt" sei. Die Autorin hat sicher nicht umsonst den Titel "Die Frau im Mond" gewählt. Die Handlung erfolgt zwar im Italien der 40er/50er Jahre, aber die gesellschaftlichen Vorurteile sind in jener Zeit noch so ausgeprägt, dass man sagen könnte, man lebte damals noch "hinter dem Mond".
Die Emanzipation der Frau ist bis heute so weit fortgeschritten, dass niemand Anstoß daran nimmt, wenn ein junges Mädchen einem Jungen eine SMS mit einer Liebeserklärung schickt. Das ist natürlich kein Liebesbrief, aber wer schreibt heute noch Liebesbriefe? Wer schreibt überhaupt noch Briefe? Wir entledigen uns so nach und nach selbst einer Möglichkeit der Kommunikation, die zum Kulturgut gehört.
Die Protagonistin des Romans hat später keine Briefe mehr geschrieben. Sie führte eine Vernunftehe mit einem Kriegsheimkehrer und schrieb ihre Gedanken, Gefühle und Träume in einem Notizbuch nieder, das ihre Enkelin nach ihrem Tode fand. Mit diesem Roman setzte die Autorin dieser romantischen Frau sicherlich ein literarisches Denkmal.
Milena AgusDie Frau im MondDTV, 135 Seiten, Taschenbuch, EUR 7,90 |