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von Lilo Herz

Morten Ramsland: "Hundsköpfe"

Man liest diesen amüsanten, ungemein realistischen Familienroman, der den Lebenszeitraum von den dreißiger Jahren bis zur Gegenwart in Norwegen und später in Dänemark umfasst, mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Die Geschichten dafür liefert Großmutter Bjørk ihrem Enkel Asger, als sie »frische Luft aus den Bergen« aus durchlöcherten Konservendosen schnüffelt. Das Komische im Tragischen ist Kennzeichen für diesen lesenswerten Roman. In diesen Geschichten ist es so eng miteinander verbunden, dass man ständig zwischen Mitgefühl und Schmunzeln hin und her gerissen wird.

Da ist zunächst die dominierende Figur des Großvaters Askild, der eigentlich Schiffsingenieur ist, aber auch Schmuggler. Herausragende Episoden im Leben der Familie verewigt er als Laienkünstler in kubistischen Bildern. Durch Schwarzmarktgeschäfte mit den deutschen Besatzern landet er in einem KZ in Deutschland. Hinter den Baracken der Ruhrkranken von Buchenwald stürzt er in den Latrinengraben, rettet sich mit letzter Kraft, flieht mit einem Mithäftling, wird von Bluthunden verfolgt und wieder eingefangen, muss gegen seinen Kumpel einen Zweikampf auf Leben und Tod ausfechten und wird sein Leben lang die Schuldgefühle am Tod des Mithäftlings nicht los. Daher malt er immer wieder die gleichen Motive: zerrissene Menschen, auseinander brechende Formen. Deshalb auch sein Hang zur Flasche und seine trotzige Strenge, mit der er seine Kinder erzieht.

Als erster bekommt das sein Sohn Nils zu spüren. Das Schicksal hatte ihn dazu verdonnert, gleich bei der Geburt in ein Plumpsklo zu fallen, aus dem ihn sein Vater rettet – der ja schon Erfahrung in solchen Gewässern gesammelt hat. Der zweite Schlag, den ihm das Schicksal versetzt, sind riesige Ohren. Deshalb wird er Segelohr genannt. Die Kinder mit denen er spielen möchte, verspotten ihn grausam und verabreichen ihm jahrelang täglich eine Ohrenbehandlung, indem sie ihm Schlamm und anderen Unrat in die Ohren stopfen. Wenn sein Vater betrunken nach Hause kommt, kriecht er in den Schrank unter die Küchenspüle und malt mit einem Bleistiftstummel kleine Ungeheuer an die Wand, um seiner Angst Herr zu werden.

Ängste steht später auch Segelohrs Sohn aus, der sich vor der Dunkelheit und Hundsköpfen fürchtet. Es lohnt sich, das Geheimnis der Hundsköpfe zu lüften, was aber erst gegen Ende der Lektüre möglich ist. Segelohrs Bruder entzieht sich einer drohenden Vaterschaft erst einmal durch die Flucht – er geht zur See (später kommt er aber zurück und heiratet die Mutter seiner Kinder). Sein Neffe folgt seinem Beispiel und haut auch ab.

Bei aller Unterschiedlichkeit der Schicksale der einzelnen Familienmitglieder, auch der Frauen, beherzigen doch alle einen Ratschlag ihres Urgroßvaters: Man darf die Dunkelheit nicht durch sich hindurchgehen lassen!

Morten Ramsland

Hundsköpfe

Schoeffling + Co., 480 Seiten, EUR 24,90

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