Aus dem Archiv
von Juliane Cassedy
Judith Hermann: "Nichts als Gespenster"
Nachdem sich die Kinder nach und nach verabschiedet und mir Blicke in die grauen regenverhangenen Wolken jede Hoffnung auf ein schönes Herbstwochenende zerstört hatten, sagte ich meine eigene Verabredung ab und zog mich in die stille Einsamkeit des Hauses zurück. Mit "Nichts als Gespenster", dem Buch, das ich eigentlich verschenken wollte, verbrachte ich den restlichen Nachmittag.
"Nichts als Gespenster" ist eine Sammlung von wunderbar melancholischen Erzählungen, die alle vom Reisen, Ankommen, Abschiednehmen, Träumen, von Entfremdung, Einsamkeit und Sehnsucht handeln. Eigentliches Thema der Geschichten aber ist die nie endende Suche nach Geborgenheit und Frieden, nach Liebe und einem Stück Heimat.
Einmal erzählt Judith Hermann von einem kurzen gemeinsamen Urlaub zweier sehr gegensätzlicher Paare in der kalten weißen unendlichen Weite Islands. Ein anderes Mal begleitet sie ein Paar, das, nicht so recht im Klaren über eine gemeinsame Zukunft als letzte Rettung eine Reise durch die USA unternimmt und in einer kleinen Stadt in der Wüste einen Mann voller einfacher Wahrhaftigkeit kennenlernt. Viele Geschichten sind aus der Ich-Perspektive geschrieben. Damit gelingt der Autorin eine faszinierende Suggestivkraft. Bei aller Traurigkeit und Sehnsucht, in der die Figuren gefangen sind, verlieren sie nie die Zuversicht.
Das Buch war die beste Lektüre für einen Tag, an dem man vor lauter Melancholie nicht anderes anzufangen weiß. Wie einer dieser nachmittäglichen so intensiven und unvergesslichen Träume, aus denen man ganz benommen erwacht, weil sie der Wirklichkeit so nahe sind, kamen mir die Erzählungen von Judith Hermann vor. Später am Abend, als ich meine kleine Tochter zum Gute Nacht Gruß in die Arme nahm, wusste ich, dass ich trotz meiner unerfüllbaren Sehnsucht dies eine gefunden habe: ein zu Hause.
Judith HermannNichts als GespensterFischer Verlag, 319 Seiten, Taschenbuch, EUR 8,90 |