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von Juliane Cassedy

Alan Isler: "Goetzens Bilder"

Ich seh schon, ich habe den völlig falschen Weg gewählt, um meinem angebeteten Dozenten ein wenig näher zu kommen: habe versucht, ihn in Gesprächen mit Fachkompetenz zu beeindrucken. Unnötig zu erwähnen, dass dies erfolglos blieb, war ich doch gerade von seinem enormen Wissen gepaart mit einem unwiderstehlichen jugendlichen Charme fazsiniert. Die von Mutter Natur so großzügig gewährten magischen Kräfte habe ich gar nicht in Betracht gezogen. Dass sie die Mittel der Wahl gewesen wären, unzweifelhaft erfolgreich, habe ich nun aus diesem Buch gelernt.

Nicolas Goetzen, Dozent für englische Literatur in New York und Verfasser von erotischen Gelegenheitsdichtungen, gerät in die Fänge seiner eigenen Sicht auf die Frauen. Die eine Studentin gewährt während seiner Vorlesung offene Einblicke, die nächste erhofft sich für ihre - zugegeben dilettantischen - Dichtversuche Hilfe und erntet Bewunderung für alles, nur keine Ernsthaftigkeit. Nicolas Geliebte, die Frau eines schwerreichen Nachbarn, der sie offenbar nicht befriedigen kann, wird eifersüchtig und droht einmal mit Trennung, einmal mit Scheidung. Als sich schließlich in seiner Fakultät Goetzens vermeintlicher Doktorvater aus London ankündigt, gerät zudem Nicolas Karriere in Gefahr, weil dieser seine zweifelhafte akademische Identität aufzudecken droht. Die Flucht nach London erweist sich als Flucht in die Vergangenheit und als Suche nach einem Stück Wahrhaftigkeit.

Mit viel schwarzen Humor schildert Isler die Untiefen des akademischen Betriebes. Er nimmt aber auch - nun ernsthaft - das Ringen seines Helden Nicolas Goetzen um Identität in den Blick.

Meinen Dozenten werde ich wohl nun nicht mehr wiedersehen. Aber da das Schicksal noch eine Menge Überraschungen bereit hält, kann keiner behaupten, man könne aus der Literatur nicht etwas für das Leben lernen.

Alan Isler

Goetzens Bilder

Deutscher Taschenbuch Verlag, 299 Seiten, Tachenbuch, Leider zur Zeit vergriffen, EUR 10,00

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