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von Kerstin Schmidt

Jean-Claude Izzo: "Die Marseille-Trilogie"

Total Cheops - Chourmo - Solea



Wenn mich einer fragt, ob ich schon mal in Marseille war, dann bin ich immer geneigt zu antworten: "Ja, natürlich. Izzo hat’s mir gezeigt!" Nein, ich war noch nie in Marseille. Aber ich kann mir vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn man vormittags am Quai du Port entlangschlendert, den Fischfrauen zuhört und oder sich von afrikanischen Händlern übers Ohr hauen lässt. Ich kann ihn riechen, den betörenden Duft, den man mittags einatmet, wenn man bei Félix einkehrt, der einem erklärt, welches Olivenöl man fürs Aioli nehmen muss und wie man einen Stockfisch richtig wässert. Nachmittags die gleißende Hitze in den Vororten, wo die Jugend ohne Hoffnung aufwächst und wo der bissigste Rap auf der Straße geboren wird. Den Abend verbringt man in der kleinen Bar bei Hassan in der Altstadt, wo es keinen Rai, Reggae oder Rock zu hören gibt, sondern nur französische Chansons: Brél und Ferré, man trinkt Pastis und versinkt im vielsprachigen Stimmengewirr...

Manche Bücher kommen auf ziemlich verschlungenen Wegen zu mir. So wie der erste Band dieser Marseille-Trilogie: Thomas Wörtche, der beim Unionsverlag arbeitet und dort die Taschenbuch-Reihe UT Metro herausgibt, hatte meinem Freund ein Bücher-Päckchen geschickt. In diesem Päckchen steckte unter anderem ein Krimi mit dem eigenartigen Titel "Total Cheops". Ich lese nur selten Krimis, sehr selten. Und auch nicht von mir aus, nein, ich lasse sie mir von meinem Freund "verordnen". Er verordnet mir die besonderen, die echten Sogbücher, in denen man Leute oder Schicksale kennenlernt, die man nicht wieder vergisst. "Total Cheops" war so ein Buch – und Fabio Montale, der Vorstadtbulle aus Marseille, ist einer von denen, an die man sein Herz hängt.

Dass er Polizist wurde, findet er ein bisschen rätselhaft, eine Laune des Schicksals. Denn seine beiden besten Jugendfreunde wurden Gangster – und eigentlich wollten sie doch immer alles zusammen machen. Aber Montale hat die Ideale seiner Jugend nicht vergessen: Treue, Ehrlichkeit und Gerechtigkeit. Damit passt er nicht besonders gut in die Reihen der korrupten und brutalen Flics, die in den Vororten den Hass der Einwanderer-Nachkommen auf sich ziehen. Aber die, mit denen er sich anlegt, um noch ein bisschen Gerechtigkeit zu verteidigen, die sind von der ganz üblen Sorte. Auf eigene Faust kämpft er um Gewissheit, Aufklärung und Sühne. Und immer wieder scheint Montale an seinen Selbstzweifeln und dem Verlust der Freunde zu zerbrechen. Aufrecht halten ihn die Liebe zu dieser fiebrigen Stadt, zu den Frauen, dem guten Essen - und nicht zuletzt der Gedanke an eine wunderschöne gemeinsame und dennoch verschenkte Jugend...

Ach ja, die Musik, die hätte ich bald vergessen. Sie ist fast immer präsent, denn Fabio Montale hört sehr oft welche: ob im Auto oder zu Hause in seinem winzig kleinen Häuschen an der felsigen Mittelmeerküste. Die Herausgeber haben sich die Mühe gemacht und im Anhang des drei-Bücher-Bandes eine Liste seiner Lieblingsstücke aufgestellt, liebevoll recherchiert, sogar mit Plattentiteln. Auf diese Weise ist eine Scheibe von "Massilla Sound System" zu Hause in unserem CD-Regal gelandet: mit der hinreißend lebendigen Musik dieser ersten und einzigen in okzitanischer Sprache singenden Reggae-Gruppe!

Jean-Claude Izzo war eigentlich Journalist, bis er als Chefredakteur der Zeitschrift Viva aus politischen Gründen gefeuert wurde. Er begann Romane zu schreiben, Kriminalromane mit einem starken politischen Akzent. Da war er knapp fünfzig. Die drei Bände der Marseille-Trilogie "Total Cheops", "Chourmo" und "Solea" sind inzwischen preisgekrönt und für mich der Geheimtipp für alle, die den Frühling dieses Jahr vielleicht mal nicht in Ystad, sondern in der quirligen Mittelmeermetropole verbringen wollen.

Jean-Claude Izzo

Die Marseille-Trilogie

Unionsverlag, 672 Seiten, Gebundene Sonderausgabe, EUR 16,00


Leseprobe


Ich hatte mich frühmorgens in die Küche gestellt und alten Blues von Lightnin’ Hopkins gehört. Nachdem ich den Seewolf ausgenommen, mit Fenchel gefüllt und mit Olivenöl begossen hatte, bereitete ich die Sauce für die Lasagne vor. Der Rest des Fenchels hatte auf kleiner Flamme mit etwas Butter in Salzwasser gekocht. In einer gut geölten Pfanne hatte ich Zwiebelscheiben, fein gehackten Knoblauch und Paprika gedünstet. Noch einen Esslöffel Essig, dann kamen die blanchierten und in kleine Würfel geschnittenen Tomaten dazu. Als das Wasser verkocht war, hatte ich den Fenchel hinzugefügt.
Allmählich beruhigte ich mich. Kochen hatte diese Wirkung auf mich. Der Geist verlor sich nicht mehr in komplexen Gedankenwindungen. Er konzentrierte sich auf die Gerüche und den Geschmack. Die Sinnesfreuden.
Babette kam beim Last Night Blues, als ich mir gerade den dritten Pastis einschenkte. Sie trug hautenge, schwarze Jeans und ein blaues, zu ihren Augen passendes Polohemd. Auf den langen, lockigen Haaren eine weiße Leinenmütze. Wir waren ungefähr im gleichen Alter, aber sie schien nicht älter zu werden. Die kleinste Falte an den Augen oder im Mundwinkel machte sie nur noch verführerischer. Sie wusste das und spielte geschickt damit. Das ließ mich nie unberührt. Sie schnupperte über der Pfanne und bot mir ihre Lippen.
"Hallo, Matrose", sagte sie. "Hmm, ich würde gern einen nehmen, einen Pastis."
Auf der Terrasse hatte ich den Grill vorbereitet. Honorine brachte die Kabeljauzungen mit. Sie lagen in einer Marinade aus Öl, gehackter Petersilie und Pfeffer. Nach ihren Anweisungen hatte ich einen Bierteig mit zwei steif geschlagenen Eiweiß hergestellt.
"Na los, trinkt in Ruhe euren Pastis. Ich kümmere mich um den Rest."
Kabeljauzungen waren eine Spezialität, erklärte sie beim Essen. Sie schmecken gratiniert, in Muschelsauce, à la provencale oder in Weißwein mit Trüffel- und Champignonstücken. Aber in Bierteig waren sie ihrer Meinung nach am besten. Babette und ich wollten die anderen Rezepte gern ausprobieren, so gut schmeckten sie.
"Bekomme ich eine Lutschstange?", fragte Babette und leckte sich die Lippen.
"Meinst du nicht, dafür sind wir zu alt?"
"Zum Naschen ist man nie zu alt, mein Schatz!"
Ich wollte über all das nachdenken, was sie mir über das Milieu erzählt hatte. Eine verdammte Lektion. Und über Batisti. Ich brannte darauf, ihn zu besuchen. Aber das konnte bis morgen warten. Es war Sonntag, und für mich war nicht jeden Tag Sonntag. Babette musste meine Gedanken gelesen haben. "Cool, Fabio. Entspann dich, es ist Sonntag." Sie stand auf und griff nach meiner Hand. "Gehen wir baden? Das wird deinen Eifer abkühlen!"
Wir schwammen, bis die Lungen platzten. Ich liebte das. Sie auch. Sie wollte mit dem Boot in die Baie des Singes hinausfahren. Aber ich weigerte mich. Im Boot nahm ich aus Prinzip niemanden mit. Es war meine Insel. Sie hatte getobt, mich einen Dummkopf und elenden Penner geschimpft und war ins herrlich frische Wasser gesprungen. Außer Atem und mit müden Armen machten wir den toten Mann und ließen uns treiben.
"Was willst du tun, wegen Ugo?"
"Verstehen. Dann werde ich weitersehen."
Zum ersten Mal fasste ich die Möglichkeit ins Auge, dass verstehen nicht reichen könnte. Verstehen heißt eine Tür öffnen, aber man weiß selten, was dahinter ist.
"Pass auf, wo du hintrittst."
Und sie tauchte. Mit Kurs auf mich.

Es war spät. Babette war geblieben. Wir hatten bei Louisette eine Pizza mit Tintenfisch geholt. Wir aßen sie auf der Terrasse mit einem Rosé Côtes de Provence vom Gut Negrel. Kühl, gerade richtig. Wir leerten die Flasche. Dann fing ich an, von Leila zu erzählen. Von der Vergewaltigung und allem. Langsam, eine Zigarette rauchend. Ich suchte nach Wörtern, um die treffendsten zu finden. Es war dunkel geworden. Ich schwieg. Leer. Stille umhüllte uns. Keine Musik, nichts. Nur das Plätschern des Wassers gegen die Steine. Und Geflüster in der Ferne.
Auf dem Damm saßen Familien im schwachen Licht der Campinggaslampen beim Abendessen. Die Angelruten hatten sie in den Felsen verkeilt. Ab und zu erklang ein Lachen. Dann ein "Pst". Als wenn das Lachen die Fische verscheuchen würde. Ich fühlte mich weit weg. Weit entfernt vom Elend dieser Welt. Ich atmete Glück. Wellen. Die Stimmen in der Ferne. Den Salzgeruch. Und sogar Babette an meiner Seite.
Ich spürte ihre Hand in meinem Haar. Sie zog mich sanft an ihre Schulter. Sie roch nach Meer. Sie streichelte mir zärtlich die Wange, dann den Hals. Ihre Hand wanderte wieder in meinen Nacken. Ganz sachte. Endlich begann ich zu schluchzen.

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