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von Kerstin Schmidt

Mascha Kaléko: "Die paar leuchtenden Jahre"

Es ist noch gar nicht so lange her, da schickte mir ein Freund in einer E-Mail ein paar Verse:

„Jetzt müßte man in einer Kleinstadt sein.
Mit einem alten Marktplatz in der Mitte,
Wo selbst das Echo nächtlich leiser Schritte
Weithin streut jeder hohle Pflasterstein...“

Darunter stand „aus einem Gedicht von Mascha Kaléko“ – und ich wusste überhaupt nichts mit diesem Namen anzufangen. Aber die Gedichtzeilen gefielen mir. So suchte ich im Internet nach weiteren Gedichten und nach der Person, die hinter diesem Namen steckte. Gefunden habe ich Lyrik, die auf eine recht merkwürdige Weise Lebenslust und Melancholie zusammenkocht, die schnoddrige Ironie mit jugendlicher Sehnsucht mischt – und eine außergewöhnliche Frau mit einer sehr nahegehenden Lebensgeschichte.

Mascha Kaléko war Jüdin. Sie kommt 1918 als Elfjährige mit ihren Eltern aus einer kleinen Stadt in der Nähe von Krakau nach Berlin. Sie ist klug und begabt, beginnt jedoch bereits mit sechzehn als Büroangestellte zu arbeiten. Sie hasst diese Arbeit und schreibt abends viel lieber Gedichte. Der Heirat mit einem gut situierten Hebräisch-Lehrer hat sie es zu verdanken, dass der Zwang, selbst Geld zu verdienen, wegfällt. Da ist sie einundzwanzig.

Fortan kümmert sie sich selbstbewusst und forsch um ihre Karriere als Schriftstellerin. Man schreibt das Ende der zwanziger Jahre und in der berühmtesten Berliner Künstlerkneipe, dem „Romanischen Café“, gehört sie schnell zum engsten Kreis, der sich um Tucholsky, Ringelnatz, Klabund und Erich Kästner geschart hat. „Wenn die junge rassige Dame im Romanischen Café auftauchte und keß berlinernd sich in die Diskussionen einschaltete, konnte ihr keiner widerstehen. Mein Freund Klabund soll, wie ich später hörte, immer versucht haben, den Redefluß zu dämmen, aber kein Geringerer als Tucholsky soll ihn beruhigt haben“, schreibt Rudolf Lenk 1977 in den „Israel Nachrichten“.

Bald veröffentlicht sie Gedichte in der „Vossischen Zeitung“ und hat eine lyrische Kolumne in der „Welt am Montag“. Ihre Verse sind einfach, riskant einfach – aber keinesfalls banal. „Sie weiß auf alles eine Antwort, Laufmaschen, Halsweh, Eifersucht und billige Cafés – nichts ist ihr fremd. Sie reimt. Und das klug und mit Verstand! Sie ist eine Philosophin der kleinen Leute, vergaloppiert sich nie. Trotz Sentimentalität! Nie ist sie süßlich verlogen, nein, eher herb und sehr gescheit...“ schreibt Anna Rheinsberg in der „Welt“.

Im Januar 1933 erscheint ihr erstes Buch – „Das Lyrische Stenogrammheft“ – und es ist sofort vergriffen. Rowohlt wagt eine zweite Auflage und veröffentlicht 1935 sogar ein zweites Buch, das „Kleine Lesebuch für Große“. Aber dann ist es vorbei mit den „paar leuchtenden Jahren“. 1935 wird Mascha Kaléko aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, die Verbreitung ihrer Gedichte wird verboten.

Gleichzeitig stellt sie ihr Privatleben auf den Kopf: Sie verliebt sich in einen mittellosen jüdischen Musikwissenschaftler, schenkt ihm einen Sohn – und verzichtet fortan auf ihre gesicherte bürgerliche Existenz. Mascha verdient ein bisschen Geld mit Übersetzungen. Aber eigentlich hätte die kleine Familie Deutschland längst verlassen müssen. Im allerletzten Moment – ein paar Wochen vor der Pogromnacht 1938 – fliehen die drei über Frankreich nach New York. Da ist Mascha Kaléko einunddreißig...

Ein wirklicher Neuanfang gelingt ihr im Exil nicht – und sie leidet zeitlebens unter ihrer Emigrantenrolle. Zurückgekehrt ist sie später nach Berlin nur als Besucherin, obwohl diese Stadt ihre eigentliche Heimat war. 1960 folgt sie ihrem Mann nach Israel. In Europa ist sie da schon fast vergessen. 1968 stirbt ihr Sohn, fünf Jahre später ihr Mann. Das bricht auch ihren Lebenswillen. Im Sommer 1974 unternimmt sie eine letzte Europareise und stirbt Anfang 1975 in einer Klinik in Zürich.

Das vorliegende Mascha-Kaléko-Lesebuch „Die paar leuchtenden Jahre“ enthält Verse, Nonsens-Gedichte, Chansons und Prosastücke aus ihren wichtigsten Büchern – und die Biographie „Aus den sechs Leben der Mascha Kaléko“ von Gisela Zoch-Westphal, die seit 1975 ihren Nachlass verwaltet. Es ist eine liebevolle und berührende Hommage an eine kluge und tapfere Frau, die leider zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist.

Mehr? —  Meine Tage mit Mascha Kaléko (Horst Krüger, 1974)

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