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von Kerstin Schmidt und Joachim Kohs

Claudia Schreiber: "Emmas Glück"

Die Schweinezüchterin Emma ist eine Wucht! Ihr Haus ist ein Saustall, sagen die Menschen. Der Hof ist ein Paradies, sagen die Schweine. Emma ist stark und beherzt wie Pippi Langstrumpf, modebewusst wie Mutter Flodder – und sie lebt ganz im Einklang mit allem, was auf ihrem Hof wächst, quiekt, kräht und gackert... In der Stadt war sie noch nie. Und eigentlich könnte sie glücklich sein. Gäbe es da nicht die seit zwei Jahren unbezahlten Rechnungen. Henner, der Dorfpolizist, sagt: "Heirate mich!" Das würde den Hof retten. Aber auf dem Rücksitz von Henners Auto sitzt seine Mutter...

Doch dann strandet Max auf Emmas Hof: in einem geklauten Ferrari – mit einer Tüte voller Geld, das ihm auch nicht gehört. Und für Emma steht sofort fest: Sie will beides behalten – das Geld für den Hof und den Mann für sich!

Aber Max ist ein Mann, dessen schlimmster Alptraum eine umgekippte Rotweinflasche auf seinem weißen Teppich ist. Und alles, was zu Ende gehen könnte, macht ihm Angst. Strenge Rituale und rechte Winkel geben ihm Halt. Trotzdem bricht er eines Tages aus seinem so wunderbar geregelten Alltag aus. Doch dass er dann ausgerechnet bei Emma landet...

Claudia Schreiber packt in ihrem Roman gleich mehrere heiße Eisen an. Das ist für so ein kleines Buch sehr mutig. Dabei ist ihr Stil kraftvoll und lebendig. Die Geschichte ist so normal wie märchenhaft und wird mit viel Witz und Wärme erzählt. Sie werden lachen – und Sie werden weinen, aber vergessen werden Sie Emma und Max sobald nicht!

Claudia Schreiber

Emmas Glück

Wilhelm Goldmann Verlag, 192 Seiten, Neu als Taschenbuch!, EUR 7,95

Leseprobe


Max war in der Hängematte eingeschlafen. Als er wach wurde, suchte er seine Kleidung zusammen, die immer noch in der inzwischen ausgekühlten Sauna lag.
Er sah sich das Badehaus jetzt etwas genauer an und bestaunte die Schnitzarbeiten über den Fensterrahmen. Runde gleichmäßige Verzierungen, die an Löwenzahnblätter und Margeritenblüten erinnerten. Die Schnitzereien waren gelb, rot und rosa bemalt, die Fensterrahmen selbst grün. Dieses Haus sah so aus, als hätte es sich verirrt. Als sei es von Russland auf Wanderschaft gegangen und hier hängen geblieben. Max musste grinsen, als er daran dachte, dass auch er hier hängen geblieben war; er gehörte nicht hierher, ganz und gar nicht.
Das Badehaus war wunderschön und der Garten eine Pracht. Weshalb aber, fragte sich Max, herrschte im Haus ein solches Chaos? Weshalb standen die Ställe offen, weshalb liefen die kackenden Hühner frei herum? Wieso begrenzte niemand den Misthaufen? Ihn schauderte. Er sah, wie die Schweine im Schatten unter der Buche im Dreck dösten. Zum Glück war um die Wiese ein Zaun errichtet worden, sonst wäre er vor Angst sofort weggelaufen. Diese Schweine waren viel größer, als er sie sich je vorgestellt hatte. Er hatte allerdings noch nie in seinem Leben eines gesehen, er kannte sie nur als Kotelett, fertig abgepackt und platt geklopft.
Max aß auch Eier, gern sogar. Aber er hatte noch nie beobachtet, wie ein Huhn eines legte. Emmas Hühner waren braun. Sie scharrten und pickten und kackten. Wenn eines sich bis zum Badehaus wagte, er würde es verscheuchen. Das war jetzt sein Terrain.
Max blickte suchend um sich, aber Emma war nirgends zu sehen oder zu hören. Leise öffnete er die Tür zur großen Scheune. Kühl und dunkel war es darin. Durch die verstaubten Fenster fielen bündelweise Sonnenstrahlen. Unendlich viele Staubkörnchen tanzten in diesem Licht, glitzerten wie winzige Diamanten, in Luft gefasst.
Eine Egge stand da und ein Pflug. Ein Wagen, ein kleiner Traktor. Säcke. Pflanzengift. Ein Stockwerk höher, über den Ställen, lag das Stroh. Eine Leiter stand bereit.
Unter dem Dach sah Max einen großen Greifarm aus Stahl. Elektrische Leitungen führten dorthin und von da hinunter ans Tor. Dicke Drahtseile spannten sich weit in Richtung Strohboden. Max betrachtete alles, wusste aber nicht, wozu es da war.
Das Stroh war sauber, vermutete er. Die Mäuse bemerkte er nicht, die ihre braunen Augen neugierig auf ihn richteten. Auch eine Eule gab es und unterm Dach hingen Fledermäuse. Max sah zwar die fein gesponnenen Spinnennetze, aber ahnte zum Glück nicht, wie widerlich fett die Spinnen waren, die in ihren Verstecken kauerten. Auch die Ratte hätte ihn entsetzt, die hinter den Saatkartoffeln hauste; es war eine Albinoratte, die selbst Emma erst einmal zu Gesicht bekommen hatte.
Max kletterte die Strohballen hoch und rutschte die Heuballen runter. Es duftete wunderbar, ein wenig wie das Badesalz bei ihm zu Hause.
Natürlich stand Emmas Luke zum Stall noch offen, sie konnte ja nicht ahnen..., und sie war auch nicht gewohnt, dass jemand hier war und im Stroh herumspazierte. Max war stolz darauf, sich so weit vorgewagt zu haben, er war stolz darauf, dass ihm der Staub nur wenig ausmachte.
Jetzt stand er unmittelbar vor der offenen Luke, sein Gesicht war von einem Dachbalken verdeckt, der einen anderen abstützte. Die dicke Eule, die darauf geschlafen hatte, war durch die Bewegungen des Eindringlings wach geworden. Harmlos machte sie: „Uuhh.“
Max erstarrte. Das Tier saß direkt vor ihm, zwanzig Zentimeter vor seinem Gesicht. Der Schock traf ihn wie ein Schlag in den Magen.
Er schrie laut auf.
Davon wurden die Fledermäuse wach. Sie flogen kurz auf und tauschten ihre Plätze. Aber das klang bedrohlich. Wieder schrie Max, fing vor Schreck an zu schwanken und verlor den Boden unter den Füßen, fiel durch die Luke in den Stall, genau auf den Rücken der alten Sau. Die quiekte vor Schmerz und Entsetzen, und genauso quiekte Max, im selben Ton wie ein Schwein.
Emma reagierte blitzschnell. Sie hob Max hoch und warf ihn mit enormer Kraft über das Gatter, damit er in Sicherheit war. Selbst sie musste die Sau jetzt fürchten, denn wenn ein Tier sich so sehr erschreckt, ist es unberechenbar. Eine Sau war in so einem Augenblick im Stande, ihre Kinder totzubeißen. Schnell floh Emma hinter Max her.
Der war völlig durcheinander. Emma nahm ihn bei der Hand und zog ihn hinaus ins Freie. Max zitterte, war bleich vor Entsetzen, Emma außer Atem.
Max versagten die Beine, er rutschte zu Boden. Emma ging mit ihm in die Knie und hielt seinen Kopf in ihrem Schoß. Streichelte und beruhigte ihn.
„Sie haben mich geworfen!“, zitterte Max.
Emma grinste stolz, hielt ihm ihren Bizeps vor Augen und spannte die Muskeln: „Da ist was drin, ne?“
„Ich will nach Hause“, schluchzte Max.
Zum ersten Mal hatte Emma einen Menschen in ihrem Schoß liegen. Sonst immer nur Tiere. Und Henner ließ sich nicht streicheln, nie. Glücklich über den Schutz, den sie ihm bieten konnte, streichelte sie Max über den Kopf. Noch nie hatte sie so etwas gefühlt, noch nie gehabt. Sie würde ihn nie mehr hergeben, nie mehr. Der sollte hier zu Hause sein. Bei ihr.
Als Max sich wieder gefangen hatte, wollte er ins Badehaus zurück. Emma machte ihm dort ein Lager, mit Matratze, Kissen und Decke, stellte eine Kerze auf, brachte ihm eine Karaffe Apfelsaft und ließ ihn allein. Er sagte keinen Ton mehr.

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